Stage five: The Stars
Inhaltsverzeichnis
Stage five: The Stars
Desert, dunes & darkness or I am he maniac
20.11.2019
Distanz: 42 km
Start: 15 Uhr
Der Morgen der Marathon Etappe beginnt mit Ausschlafen und einem entspannten Frühstück. Nicht eine Handvoll Müsli in meiner Titantasse anrühren und dann löffelweise essen während ich den Rucksack packe, sondern Outdoor breakfast. Mit Fran, Hayam und Kevin sitze ich auf einem harten Stück Sand (!) auf einer Düne. Während ich in Ruhe Milchreis mit Himbeeren löffle und einen Espresso trinke, scheint mir die Sonne auf die Arme und ich unterhalte mich entspannt mit den anderen. Dann sitzen wir einfach und schauen in die Wüste. Es ist wunderbar ruhig.
Den Vormittag nutzen wir noch um ein wenig zu dösen, letzte Dinge am, im und um den Rucksack zu ordnen. Alle Kleidung ist klamm, auch die, die im Rucksack war über Nacht. In der Sonne wird das zwar wieder besser aber ich höre zum Teil leises Fluchen über feuchte Socken. Dabei hatte ich schon zu Beginn des Rennens die Parole ausgegeben ‚Alles, was trocken sein soll, muss nachts in den Schlafsack!‘ Das habe ich so gemacht mit mein Equipment ist einwandfrei. In feuchten Socken in die Schuhe erhöht die Gefahr von Blasen enorm, das ist allen klar.
Um 13 Uhr esse ich mein Peronin-Power-Müsli. Es hat über 800 kcal und schmeckt scheußlich. Kaufe ich nie wieder. Während wir uns fertig machen, Stulpen anziehen, Schuhe zubinden, den Rucksack auf guten Sitz überprüfen, filmt das Kamerateam unsere Aktivitäten.
Um Viertel vor drei stehe ich am Start. In den letzten Tagen habe ich zum Ende der Etappen, wenn ich merkte, dass die Energie nachlässt, meinen LifeTuner eingesetzt. Der LifeTuner, das kleinste Magnetfeldsystem der Welt, unterstützt in erster Linie den Biorhythmus. Mit seiner Hilfe habe ich ohne Jetlag schon ab der ersten Nacht im Oman an den neuen Rhythmus angepasst geschlafen. Um Energie zu mobilisieren stellte ich ihn im Rennen meist auf Programm 5 oder 6 ein, was anregend ist, während ich nachts auf Programm 2 die Regeneration unterstützte. Heute mache ich ein Experiment: ich wähle Programm 6 aus und stelle die Zeitautomatik auf acht Stunden ein. Ich weiß, dass das evtl. riskant ist, denn zu lange oder zu intensiv angewendet macht das Teil bei mir schon mal vegetative Symptome, will heißen, mir wird etwas flau im Magen. Aber ich fühle mich gut und will es ausprobieren, ob es mich mit einem dauernden Energiefluss durch die Nacht trägt.
Rob und ich wollten zusammen laufen, aber wo ist er? Zwei Minuten bevor es losgehen soll kommt er atemlos angerannt, das Startsignal fällt und er rennt sofort weiter. Hui! Da muss ich mich beeilen, wenn ich da dranbleiben will. Er rennt, als gäbe es jetzt und hier nicht die längste Etappe des Rennens, sondern als wären wir irgendwo zum Abendessen verabredet und müssten bald da sein. Die kurzen Strecken, auf denen der Sand wirklich mal hart ist, laufen wir flott und ich genieße das Gefühl eines Untergrundes, der nicht nachgibt. Leider sind diese Abschnitte nur wenige Meter lang, aber es macht so viel Spaß!
Das Licht ist heute etwas gedämpft, ab und zu gibt es leichte Wolken, ein angenehmer Wind weht, die Weite der Wüste ist beeindruckend und Rob und ich machen gut Strecke. Auf einem Dünenkamm holt er seine Kamera raus und mit einer ausladenden Geste drehe ich mich um meine Achse und rufe ‚May I present to you: the Omani Desert! A poem made into a landscape!‘ Es ist toll.
Rob hat mir seine beiden Poles gegeben. Zum Glück, schon ohne rennt er mir fast weg. Er ist begeistert ‚It feels so free today without the poles!‘ Ja, denke ich, es fühlt sich so gut an MIT den Dingern. Der Sand ist weich, manchmal auch sehr weich, bei jedem Schritt sinken wir ein. Damit das Navigieren in der Nacht nicht zu schwierig wird (und weil der Veranstalter bestimmt keine Lust hat, Leute aus den Dünen pflücken zu müssen), folgt die Marathonstrecke einem Track. Im Grunde geht es also nur gerade durch die Wüste. Aber so einfach ist es nicht. Insgesamt haben wir 1.500 Höhenmeter Aufstieg und 1.500 HM Abstieg zu bewältigen, oder, vereinfacht ausgedrückt: es geht immerzu hoch und runter und so gut wie nie flach geradeaus.
Ich spüre, dass Rob heute schneller ist und er fragt mich, ob es ok ist wenn er ab dem nächsten Dünenkamm alleine voraus läuft und mir dafür die Poles überlässt? Ein guter Deal, der uns beide glücklich macht. Er startet durch und ich pflüge durch die Wüste. Bergauf gehe ich, bergab laufe ich. Der weiche Sand rutscht unter den Füßen weg, das Laufen ist anstrengend. Aber mit den Stöcken stabilisiere ich meinen Geradeauslauf und gewinne mehr Vortrieb. Ich habe unglaublich viel Energie und pflüge durch die Wüste.
Die Dämmerung ist kurz und solange ich noch genügend Lichtreflexion auf dem Sand habe will ich ohne Kunstlicht laufen, aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, dass ich die Stirnlampe einschalte. Anstatt der Flaggen haben wir riesige Flutlichter, die als Markierungen dienen und den Weg weisen, außerdem geht es eh immer den Track lang.
Ich habe das Gefühl, Energie ohne Ende zu haben. Obwohl das Laufen so mühsam ist, der Weg immer auf und ab geht. Es ist mir egal. Ich laufe die Wüste unter mir weg, ich pflüge mit den Stöcken durch den Sand. Ich überhole Leute, die sonst vor mir laufen und als ich im Dunkeln an CP 2 ankomme sagt die Ärztin: ‚Dorte (sie kann das ö nicht aussprechen), is it already you? You are so strong today!‘ Ich nicke, fülle ungeduldig mein Wasser auf und bin wieder unterwegs. Total fokussiert. Ich will laufen, nur laufen, will die Kilometer fressen und vorwärts kommen.
Nachtmarathon! Das klingt romantisch, mysteriös, besonders. Ich mag die Nachtluft, die Dunkelheit, genieße es, zwischendurch die Lampe auszuschalten und den unglaublichen Nachthimmel über mir zu sehen. Sterne, riesig, funkelnd, die Milchstraße – es ist sehr beeindruckend! Und zugleich habe ich diese Ungeduld, dieses Getriebene und will nur weiter kommen, die Kilometer abhaken, ankommen. Für diese Etappe habe ich das GPS angeschaltet, diesen Luxus gönne ich mir, ich habe eine kleine Powerbank mit und kann die Uhr nach dieser Strecke nochmal aufladen. So weiß ich diesmal präzise, wie viel ich gelaufen bin und – noch wichtiger, wie viel ich noch vor mir habe. Irgendwann fliegt Rachid an mir vorbei – das sieht so leicht aus bei ihm! Dann überholt mich ein junger Omani, wir quatschen einen Moment, er zeigt sich beeindruckt von mir, vor allem als sich herausstellt, dass ich so alt wie seine Mutter bin. Er gibt mir ein Thumbs up bevor er in der Nacht verschwindet. Dann laufe ich wieder alleine, kämpfe mit dem Sand, wechsele immer wieder die Seite wenn ich denke, dass es da drüben ein wenig leichter zu laufen aussieht. Eine bekannte Gestalt kommt vorbei. ‚Sune is it you?‘ ‚Yes! What are you doing on the track, come here‘ Er tippelt und tänzelt um Büsche und Dünen und sucht sich seinen Weg neben der Straße. Das ist nicht kürzer, aber weniger langweilig und deswegen mache ich das auch.
Ich laufe wie enthemmt, wie eine Maschine, ich arbeite die Strecke ab, ramme die Poles in den Sand und fühle mich, jetzt schon seit Stunden, kraftvoll und nicht zu stoppen.
Ab Kilometer 30 wird es langweilig. Ich meine, das Konzept ‚Wir rennen des Nachts durch die Wüste‘ habe ich verstanden. Die Strecke ist gleichförmig, das Sichtfeld ist auf den Radius der Stirnlampe begrenzt, es passiert nichts Neues. Ich sehe einige Käfer krabbeln, sonst passiert nichts. Keine Schlange, kein Skorpion scheint Dienst zu haben.
Kilometer 40! Es geht leicht bergauf. Das ist mir egal, ich laufe. Der Sand stiebt unter den Füßen, die Stöcke halten mich stabil, weiter, weiter, es muss doch bald vorbei sein. Wo ist das Camp? Ich will nur noch ankommen. Jetzt merke ich den Effekt des LifeTuners, mein Magen fühlt sich etwas flau an, mir wird leicht übel. Der Witz ist, dass mich das nicht langsamer macht. Es ist beides da: Übelkeit und Energie. Da halte ich mich doch an die Energie!
Um 23:30, nach 8,5 h erreiche ich das Camp. Das klingt langsam – einen Straßenmarathon laufe ich in der halben Zeit – angesichts der Umstände ist es recht flott.
Müde und zugleich überdreht steuere ich das erstbeste Zelt an. Hier scheint alles etwas chaotisch. Wahrscheinlich war die Zeit für Abbau, Transport und Aufbau des Camps zu kurz und man hat angefangen, Dinge irgendwo hinzustellen, wo man gerade war. Heißes Wasser gibt es gegenüber, aber wo sind die Klos? – Egal. Ich gehe eh lieber in die Wüste. Rob und Oliver sind bereits im Camp, Rob kam eine Stunde vor mir rein. Ich sortiere meinen Kram, breite mein Schlaflager aus und weiß, ich muss mich duschen, so verklebt und verschwitzt kann ich mich nicht hinlegen. Ich fühle mich, als ob ich eine einen Zentimeter dicke Schicht aus Schweiß, Feuchtigkeit, Sand, Staub und irgendwelchen unangenehm reichenden Dingen aus meinem Körper auf der Haut habe. Undenkbar, so schlafen zu gehen. Der Tanklaster ist da, aber keine Duschen angeschlossen. Er steht beleuchtet in Sichtweite der Zelte. Mir ist alles egal. Nur in Unterwäsche wasche ich mich und gehe zum Wechseln der Klamotten danach hinter die nächste Düne. Dann liege ich im Schlafsack. Neonlicht scheint herein, nicht sehr wüstenromantisch. Die Längsseite des Zeltes ist offen um etwas Luft zirkulieren zu lassen, nebenan läuft bis 2 Uhr nachts ein Generator. Trotz Ohropax lässt mich der Lärm nicht schlafen. Als ich am nächsten Morgen doch halbwegs erfrischt erwache und in die feuchten Klamotten steige (was so unangenehm ist wie es klingt) treffe ich Sune. Er hat weiter hinten campiert. Da versuchten die Arbeiter bis 2 Uhr nachts die Toiletten aufzustellen, wozu sie einen LKW laufen liefen. Dann dachte man sich, dass eh alle in die Dünen gehen und um 8 Uhr wieder weg sind und sie ließen ihre Arbeit unvollendet.
Aber die Stimmung ist gut! Es ist nur noch eine Etappe bis zum Ziel, verkünde ich optimistisch. Only 23k to go!
Es wird ein Höllenritt.