Stage six: The White Sands Of The Arabian Sea

Stage six: The White Sands Of The Arabian Sea

Die Todesdünen
21.11.19
Distanz: die längsten 23km meines Lebens
Start: 08:00 Uhr

Der letzte Tag! Die letzte Etappe bei einem Mehr Tage Rennen ist immer etwas Besonderes. Auf der einen Seite bin ich jetzt richtig in dem Rhythmus laufen, ausruhen, essen, schlafen , laufen drin und könnte das noch weitere Tage durchziehen, auf der anderen Seite ist alles seit dem Start auf das Erreichen des Ziels fokussiert, auf die letzten Meter, das Überschreiten der Ziellinie und das Loslassen, was nach einem so langen Wettkampf auch in einem emotionalen Loslassen und Frei-sein mündet.

Heute denke ich ‚Ja, ok, da waren einige verdammt steile und im Grunde senkrechte  Anstiege im Roadbook verzeichnet, aber was soll schon passieren, es ist die letzte Etappe und nachdem alles bisher so smooth lief, wird das hier auch noch klappen‘. Die Beine sind gut, ich überlege, meinen Rucksack noch leichter zu machen, indem ich meine 20.- Isomatte hierlasse. Als ich rumfrage, ob die irgendwer gebrauchen kann (die omanischen Athleten haben z.T. schlechte Ausrüstung), reagiert unsere sonst so freundliche Ärztin mit einem ‚It’s a self-sufficient race, you have to carry your stuff till the end:‘ ‚Yes, I agree, but I personally had sufficiently from y matress‘. Schließlich geht sie an eine junge Omanin, die sich über den Ausrüstungsgegenstand freut und kein Problem darin sieht, die gut 400 g zusätzlich zu tragen.

Eine Stunde vor dem Start gibt es im Nachbarzelt Trubel. Eine Italienerin hat sich ein Band in der Leiste gerissen und wird auf einer Trage zu einem Fahrzeug des Roten Halbmonds  gebracht und abtransportiert. Ich werde Marisha einige Tage später am Flughafen sehen, wo sie zwar im Rollstuhl sitzt, aber ungebrochen optimistisch ist. Alles wird ausheilen und sie wird wiederkommen, versichert sie mir.

Vor dem letzten Start gibt es das letzte Briefing. Wir sollen es langsam angehen lassen, die ersten 10 km seien easy, danach würde es hart werden und die letzten 8 km seien wirklich schwer. Na, nützt ja nix, was weg muss, muss weg. Tatsächlich zeigt sich der Beginn der Etappe mit sanften Wellen, flach, nichts Schwieriges, wenn man vom obligatorischen weichen Sand mal absieht. Ich bin langsamer als am Tag zuvor. Habe ich es doch übertrieben, zu viel Kraft im Marathon gelassen? Sogar das meist walkende französische Ehepaar überholt mich. Nach einigen Kilometern schwenkt die Strecke aus der Ebene eine enorme Düne hinauf. Oben geht der Blick in einen steil abfallenden Trichter, den wir glücklicherweise umrunden dürfen und auf der nächsten Düne erwartet uns CP1. Ich fülle Wasser auf und bin mal wieder von den easy flasks genervt, die fummelig im Handling sind. Fran und Hayam sind kurz vor mir los, als ich noch mit den Behältern beschäftigt bin, kurz darauf hole ich sie ein. Dann beginnen wir unsere Wüstenexpedition. Mit dem nächsten steilen Anstieg betreten wir einen abgeschiedenen und kaum besuchten Teil der Wüste. Die Dünen hier sind so steil, das Gebiet für Fahrzeuge so unzugänglich, dass uns schnell klar wird, wie selten Menschen hier eindringen. Schier endlos reiht sich eine Riesendüne an die nächste. Mit großzügigen, weiten Tälern dazwischen, aber Flanken, die so steil sind, dass wir nun senkrecht an ihnen hochkrabbeln.

Diese Anstiege sind extrem kräftezehrend und frustrierend. Man nimmt das eine Bein 30cm hoch und tritt in den Sand, rutscht daraufhin 26cm nach unten, wiederholt die Prozedur mit dem anderen Bein usw. D.h. obwohl man andauernd und mit großer Kraft auftritt, kommt man faktisch nicht voran. Der Sand rutscht einfach weg und wenige Meter zu überwinden dauert schier unendlich lange. Anfangs laufe ich die weiten Downdune Abschnitte noch, irgendwann erscheint mir auch das zu viel. Es kommt eine Düne nach der anderen, die Sandberge türmen und türmen sich. Weiter nach links sehe ich am Horizont die Telegrafenmaste an der Küstenstraße.

Das Roadbook zeigte, dass wir eine ganze Zeit parallel zur Straße laufen bevor wir endlich abbiegen dürfen. Zu wissen, die Straße ist einige Kilometer entfernt nach links, aber die Fahnen weisen nur voraus, ist frustrierend.  Wie beim Wellenreiten müssen wir die Sandkämme überwinden. Inzwischen laufen die Franzosen, Fran, Hayam und ich in einer losen Formation, bei der jeder mal vorne ist oder hinten, je nachdem wie schnell wir die Dünen erklettern und wie gut wir sind, den besten Weg zur nächsten Fahne zu finden.

Dann entdecken wir in einem Tal ein Feld aus Felsgestein. Als wir dieses überqueren stellen wir fest, dass es porös und voller Muscheln ist. Ok, das Meer ist einige Kilometer entfernt, aber wie kommen die hierher? Schnecken und Muscheln in der Wüste? Es ist ein sehr abgefahrenes Bild und ein eindrückliches Erlebnis. Trotzdem kann ich mich nicht überwinden, im Rucksack nach dem sanddicht verpackten Smartphone zu suchen um Fotos zu machen, ich will nur weiter. – Eine Erklärung für diese geologische Besonderheit liefert uns Kevin Tage später, als er am Flughafen in Mascat einen Geologen trifft. Der Fels war vor 80-90 Mio. Jahren Meeresboden, der durch tektonische Plattenbewegung jetzt in der Wüste nach oben gedrückt wird. Wie gesagt, wirklich abgefahren!

Plötzlich spüre ich einen Tropfen im Gesicht, dann einen zweiten. Für eine Minute regnet es in der Wüste. Die Tropfen bilden dicke Perlen im Sand, den sie sofort binden. Es sieht aus, als hätte man einen feuchten Pinsel genommen und die Wüste mit Wasser benetzt. Es hat etwas Magisches. Die wenigen Pflanzen wehen im Wind, als wollten sie möglichst viel des kostbaren Wassers einfangen, ich nehme die Mütze ab, um meine Haare mit Wasser zu benetzen – dann ist es schon wieder vorbei.

Hayam schleppt sich hinter mir durch den Sand und Fran, ihre Teamkollegin, die Musik hört und singend vor mir herläuft, wartet auf dem Gipfel einer Düne auf sie. Als ich keuchend aufschließe strahlt sie mich an und deutet auf die wirklich atemberaubende Sicht rundum.

Dann kommt der letzte Checkpoint! Mitten auf dem Anstieg zu dieser Düne liegt einer der beiden Griechen, die mich gestern interviewt haben und fotografiert unseren mühsamen Aufstieg. Ich habe eine Methode entwickelt, die ich ‚Dunefisting‘ nenne, bei der ich meine Fäuste senkrecht in den Boden ramme, was einfacher ist als mit der Handfläche. Als ich auf seiner Höhe bin wende ich mich ihm zu ‚I hate it!‘ Wir haben beiden meine gestrigen Worte im Sinn und lachen. Ja, mir ist schon klar, dass ich im Moment ein bisschen sehr mit dem nörgelnden Teil identifiziert bin, aber hey, es ist sauanstrengend und es ist wie es ist! Das blöde Gefühl wird schon wieder weggehen. Irgendwann.

Oben steht Jérome und schenkt Wasser aus. ‚Last Checkpoint!‘ ruft er mir zu. Ich nehme die easy flasks heraus und kann auch mit großer Kraft eine der beiden nicht öffnen. Wir lassen sie unter den 5 anwesenden Männern kreisen, keiner schafft es. Ich bin genervt. Eigentlich dürfen wir keine Wasserflaschen vom CP mitnehmen, das hieße, dass ich mit nur 600 ml auf die letzten Kilometer gehe. Klingt nicht verlockend. Jérome überlegt kurz und erlaubt mir dann eine Halbliterflasche mitzunehmen und sie im Ziel ordnungsgemäß zu entsorgen, was ich ihm verspreche.

Fran lacht mich an: It’s just another hour, then we are done!‘ ‚I wont make it in an hour.‘ ‚Well, then it‘s an hour and a half‘ ‚I wont be done in an hour and a half‘ ‚Ok, then it’s two hours‘ ‚Two hours? Yeah, that‘s realsitic‘ Damit hat Fran meine schlechte Laune aufgelöst. Es sind noch 8 Kilometer bis ins Ziel und sogar in dem wahnsinnig langsamen Tempo, das wir im Moment draufhaben bin ich in zwei Stunden auf jeden Fall da. Dieses neue Mindset gibt mir Kraft und ich laufe mit mehr Energie los. Alleine. Die Franzosen sind noch nicht da und Fran will auf jeden Fall die letzten Kilometer mit Hayam zusammen laufen.

Die Idee, dass ich in zwei Stunden am Meer bin (und wenn ich erstmal da bin, bin ich auch schnell drin, schließlich habe ich morgens schon meine Badeklamotten unter den Laufdress angezogen) beflügelt mich. Jeden Kilometer, den ich absolviere, hake ich ab. Als ich die 20 überschritten habe, juble ich laut ‚Nur noch drei!‘ Es fühlt sich gut an!

Und dann, endlich, steht die nächste Fahne weiter links und erlaubt mir, Richtung Meer zu schwenken. Ich kann es nicht sehen, aber zu wissen, es ist da, hinter den Telegrafenmasten, gibt mir einen Punkt, auf den ich mich konzentrieren kann. Es wird flacher, eine einfache Hütte steht im Sand, in der Nähe liegt ein Schafskadaver, weit vor mir sehe ich einen Läufer. Den werde ich nicht mehr einholen. Schade, jetzt, wo die Energie zurück ist, hätte ich Lust auf ein kleines Wettrennen. Kommt jetzt die Straße? Nein, noch eine Düne, noch eine….Menno! Dann sehe ich die Straße, überquere laufend den Asphalt und denke, wie ungewohnt das ist, einen Boden zu haben, der nicht wegrutscht. Drüben kann ich jetzt die Spitzen der Fahnen erkennen, die das Ziel markieren und höre Musik.

Ich laufe, laufe die letzte Düne hinunter, über Felsen, durch Sand, laufe und laufe, biege in die Zielgasse ein, sehe die Menschen hinter dem Zielbogen, die mich anfeuern, nehme meine Mütze ab, schwenke sie und lege unter Juchhu Rufen die letzten Meter zurück. Geschafft!

I DID IT!

Eine große Freude durchströmt mich.

Sofort stehe ich vier Fotografen gegenüber, Said gratuliert mir, ich bekomme eine Medaille umgehängt und während wir Fotos machen frage ich ihn, auf die Dünen weisend und eine große Höhe andeutend ‚Said, why do you hate us?‘ ‚I dont hate you, I dont hate you!‘ Wir lachen befreit, ich bin einfach nur ausgelassen und voller Energie. GESCHAFFT! Denke ich immer wieder, geschafft! Ich habe es geschafft!

‚Get some food, go for a swim and take a rest‘ kommt die Ansage und genau das mache ich. Essen, Fotos machen für meine Sponsoren und dann ziehe ich die feuchten, riechenden X-Bionic Sachen aus, schäle mich aus den Kompressionsstulpen und stürze mich ins Meer. Es ist wunderbar! Das Wasser ist warm, weich, die Wellen genau richtig. Ich schwimme und plansche ein wenig. Als ich rauskomme wasche ich unter dem Tanklaster, der glücklicher weise immer noch dabei ist, das Salzwasser ab, ziehe mir das Finisher-T Shirt an und freue mich. Klatsche mich mit den anderen ab. Jeder ist froh, es geschafft zu haben, es ist eine Mischung aus Ausgelassenheit und Zufriedenheit, loslassen, genießen.

Dann kommt die Nachricht, dass Kevin sich verlaufen hat. An einer Stelle ist er, anstatt  sich Richtung Meer zu wenden, wieder ins Landesinnere gelaufen. Ich sehe, dass die Organisatoren sich Sorgen machen. Mit zwei Autos fahren sie los. Zum Glück finden sie einen Zugang in den schwierigen Teil der Wüste, machen ihn ausfindig und setzen ihn auf die richtige Spur. Er kommt als Letzter ins Ziel und wird von allen versammelten Läufern enthusiastisch gefeiert. Alle sind drin! Alle, die heute Morgen starteten, haben das Ziel erreicht! Well done! Rachid hat – wie erwartet – den Gesamtsieg geholt. Er ist einfach gut!

Der Rest ist schnell erzählt: Mit Bussen geht es zurück ins Camp nach Bidiyah, wo wir um 20 Uhr ankommen. Mir ist es nun zu kühl zum Duschen und ich vertage das auf den nächsten Morgen. Nachts wollen Emmanuelle und ich unsere feuchten Schlafsäcke im Zelt trocknen, als es anfängt zu regnen und der Regen auch ins Zelt dringt. Die vorher feuchten Schlafsäcke sind jetzt nass (trocknen am nächsten Tag aber ganz schnell in der Sonne).

Ich erwache um 6 Uhr (in einem BETT!) mit dem Gedanken ‚Wie war dieses Lied von Patti Smith? People take a shower?‘ Ich beschließe, dass es Zeit ist für eine Dusche, für DIE Dusche! Und so geschieht es. Haare waschen, einseifen, alles inklusive. Es ist wunderbar.

Tagsüber machen wir einen Ausflug zum Wadi Bani Khalid, wo es grün ist und wir in den schmalen Schluchten glasklares Wasser sehen. Am Abend steigt im lokalen Fußballstadion die Verleihung der Preise. Es gibt eine große Bühne, Flutlicht, ein Rahmenprogramm. Emmanuelle ist Dritte geworden! Sie ist geschockt, wir freuen uns alle für sie. Danach gibt es ein opulentes Buffet, auch mit vegetarischen Spezialitäten, eine letzte Nacht im Zelt und am nächsten Morgen fahren wir zum Airport. Hier erfahre ich endlich meine Platzierung. Platz 33. overall und 8. Frau! Ich bin echt stolz.

Am Airport gehen Sune und ich frühstücken, hängen etwas rum, loggen uns ins WLAN ein und nehmen Kontakt zur Welt außerhalb der Wüste auf. Leider können wir im Flieger nicht zusammen sitzen. Ich habe allerdings in Franziska, Masterstudentin der Politikwissenschaft und auf dem Rückweg von einem Praktikum in der Deutschen Botschaft in Mascat, eine tolle Nachbarin mit der ich mich angeregt unterhalte und noch einiges Interessantes über den Oman lerne.

In München habe ich nur wenig Zeit, der Flug nach Düsseldorf geht 45 Minuten nach Ankunft dort. Ich fahre mit Sune zum nächsten Terminal und dann verabschiedet er mich: ‘You are more in a hurry than me, go!‘ Ich betrete die Rolltreppe und jogge, langsam, gleichmäßig und mühelos nach oben, biege noch einmal ab, bin am Gate und kann sofort das Flugzeug boarden. Alles im Fluss!

In Düsseldorf holt mich Uwe ab, wir fahren sofort zum Inder, wo ich Berge esse. Das bleibt noch einige Tage so. Insgesamt habe ich im Oman und in den Tagen danach 2kg verloren, wie bei all den Rennen zuvor auch. Aber ich fühle mich körperlich nicht müde. Die erste Woche laufe ich nur kurz und regenerativ, ab der zweiten Woche steige ich langsam wieder ins Training ein. Ich bin großartig in Form!