Jeder kann Marathon laufen!

‚Marathon, die Königsdisziplin!‘ und ‚Boah, der Mann mit dem Hammer bei Kilometer 30!‘ und dann das Fazit ‚Das könnte ich nicht!‘

Doch.

Ich glaube, dass prinzipiell jeder Marathon laufen kann. Wieso? Es gibt da einige Hinweise in unserer Evolution. Auch wenn wir es heute nicht mehr so mitkriegen, wo wir überall mit dem Auto hinfahren, für 2 Stockwerke den Fahrstuhl nehmen und den größten Teil des Tages sitzend verbringen, der Mensch ist wie kaum ein anderes Wesen dafür geschaffen, langes Distanzen zu Fuß gehend oder rennend zurückzulegen. Der Mensch kann im Allgemeinen, auch ohne viel Training, lange Distanzen gehen, bis zu 1.500 m rennen und einige Hundert Meter schwimmen. Das ist ziemlich vielseitig und einzigartig, da die meisten anderen Spezies auf eine Sache ausgerichtet sind.

Die anthropologische Forschung der letzten Jahre brachte die Theorie hervor, dass unsere Vorfahren Hetzjäger waren, die ihre Beutetiere so lange verfolgten, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrachen. Klingt erstmal komisch. Wie sollten wir eine Gazelle verfolgen? Ein so schnelles Tier? Die Gazelle, wie fast alle anderen potenziellen Beutetiere ist auf kurze Distanzen schnell, aber sie ist nicht ausdauernd. Ihr fehlt, wie den meisten anderen Tieren, die Fähigkeit über Schweißdrüsen Flüssigkeit abzusondern und Verdunstungskälte zu generieren, ihre Körpertemperatur steigt bei anhaltender Flucht bis sie kollabiert. Das ist auch der Grund warum bei Ausdauerrennen Mensch gegen Pferd der Mensch oft so gut abschneidet. Natürlich ist das Pferd größer und sowohl schnell als auch ausdauernd. Aber es hat viel weniger Schweißdrüsen und ist anfälliger für Überhitzung. Menschen haben hingegen ein sehr gutes System der Hitzeregulation und können deswegen auch größere und im Grunde schnellere Tiere ‚totlaufen‘. In einigen Regionen Afrikas gibt es bis heute die Technik des Herzjagens, wo z.T. über Tage ein ausgewähltes Tier gehetzt wird.

Auch wenn wir nicht wissen, ob diese Theorie stimmt oder ob es noch andere Varianten gibt – klar ist, der Bewegungsapparat und die Fähigkeit der Temperaturkontrolle ermöglichen es uns, lange Strecken zurückzulegen – und zwar bis ins hohe Alter. Der Mensch ist zum Laufen gemacht, er ist optimiert für diese Art der Bewegung!

Bei den meisten Sportarten haben die Leute mit 30 Jahren quasi das Greisenalter erreicht und müssen ihre Karriere beenden. Beim Laufen nimmt die Leistungskurve interessanterweise viel langsamer ab. Ja, mit fortschreitendem Alter können keine Spitzenzeiten mehr erreicht werden, aber die Ausdauer für lange Distanzen ist enorm und deswegen sehen wir durchaus ältere Laufer, gerade im Ultrabereich, die auch gegen jüngere sehr erfolgreich antreten. Das hat nicht nur mit der berühmten mentalen Stärke zu tun, sondern mit unserer genetisch bedingten Fähigkeit, Ausdauerleistung zu vollbringen.

Wenn wir also davon ausgehen, dass aufgrund unserer Evolution prinzipiell erstmal alle Menschen laufen können (denn unsere Vorfahren wurden lange darauf hin selektiert), warum sollte es dann nicht möglich sein, auch heute eine längere Distanz zu laufen?

Genau. Sag ich doch.

Immerhin ist Laufsport sehr populär. Kein Wunder, man braucht im Wesentlichen ein paar gute Schuhe, ein Flatterhemdchen, eine Bux und los geht’s, fast egal wo man sich befindet, laufen geht irgendwie immer. In den 70iger Jahren waren die Teilnehmerfelder bei Marathonveranstaltungen sehr klein, dafür waren die gelaufenen Zeiten im Schnitt deutlich schneller als heute. Ja und? Das zeigt ja lediglich, dass Marathon früher eher etwas elitär war und heute zum Massensport geworden ist. Manche alte Haudegen rümpfen die Nase über das ‚sinkende Niveau‘ (‚Früher war alles schneller‘), aber letztlich zeigen die steigenden Zahlen der aktiven Läufer nur, dass immer mehr Menschen ihrer Genetik folgen und sich von den Mythen um’s Laufen nicht abhalten lassen.

Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Marathon. Wie lange es dauerte, bis ich mich traute, mich in Berlin anzumelden. Weil ich auch diesen Riesenrespekt hatte und Angst, mich zu übernehmen. Und wie war es? Ich habe jede einzelne Sekunde genossen, war euphorisiert, hatte keinen Einbruch und dachte im Ziel: Hätte auch noch weitergehen können. War ich gut vorbereitet? Na klar! Ich hatte einen Trainer und einen Trainingsplan und alles ist fast bis auf die Sekunde aufgegangen. Nach dem Rennen habe ich gesagt

‚Hätte ich eher gewusst, dass Marathon laufen so einfach ist, ich hätte das schon viel eher gemacht‘

Und das ist es für mich. Da wird ein Mythos aufgebaut und was weiß ich von Härte und Durchhaltewillen und der Schmerz ist dein Freund geredet, aber im Grunde ist es gute Vorbereitung. That’s it. Mit Zeit, Energie, Willen und einem Plan ist das prinzipiell für fast jeden möglich. Die Frage ist, ob einer das WILL, aber das ist ein anderes Blatt.

Na klar habe ich auch mal den Einbruch bei Kilometer 33 gehabt und bin in der zweiten Hälfte nicht schneller, sondern langsamer gewesen, aber geschenkt, so doll war die Quälerei nun auch nicht. Nach meinem Berlin Marathon 2018 hatte ich noch nicht mal Muskelkater. Weil ich gut trainiert war, immerhin hatte ich im Monat zuvor den Ultramarathon in der Gobi absolviert.

Und wer Marathon laufen kann, kann auch Ultramarathon laufen. Das ist fast das Gleiche, nur halt…länger. Man muss einfach nur weiter laufen. Oder wie bei den Etappenrennen von racing the planet halt 250km in einer Woche. Mit Rucksack. Kann man alles trainieren. Und ehrlich: Nur eine Minderheit rennt da die ganze Zeit, die meisten Läufer gehen z.B. alle Bergauf Passagen. Und das Tempo ist im Hauptfeld natürlich auch geringer als bei einem Straßenlauf. Beim Ultralaufen ist vor allem wichtig, wie gut jemand in den Pausen regenerieren kann. Das ist z.T. genetisch angelegt aber wie fast alles, auch beeinflussbar.

Dazu später mal mehr.

Wenn du laufen willst, tu es. Wenn du länger laufen willst, tu es. Du kannst es, der Mensch ist dazu gemacht.